Fachtagung in Göttingen

Collaboration ist eine Episode im Arbeitsalltag

  • 30.09.2017
  • Thomas Hardwig
  • Arbeitsgestaltung

Auch für Wissensarbeiter eine besondere Arbeitssituation – aber eine wertschöpfende! Daher lohnt es sich diese effektiver zu gestalten, besser zu unterstützen und öfter zustande kommen zu lassen.

Das Bild zeigt sehr schön, wie das Konzept der unterschiedlichen Intensität eingesetzt werden kann. Grafik: Thomas Hardwig, Stefan Klötzer

Der Begriff der Collaboration dringt seit einigen Jahren massiv in die Alltagssprache. Wer heute im Internet danach sucht, sieht rasch, dass die „gemeinsam vernetzte Zusammenarbeit“ (Wikipedia) sehr eng im Zusammenhang mit der Nutzung neuer internetbasierter kollaborativer Anwendungen und Social Media steht.

Auf den ersten Blick vermutet man eine bloße Mode, denn in vielen Beispielen des Sprachgebrauchs lässt sich das Wort Collaboration problemlos durch Zusammenarbeit ersetzen.

Obwohl dies in vielen Fällen stimmt, steckt hinter diesem vermeintlichen Mode sehr viel mehr: Eine Begriffsklärung erscheint uns für die betriebliche Arbeitsgestaltung hilfreich. Denn Collaboration (oder Kollaboration) beschreibt eine sehr intensive Form der Zusammenarbeit mit besonderen Potenzialen für die Wertschöpfung.

Camarinha-Matos und Afsarmanesh (2008) haben vorgeschlagen, Kommunikation, Koordination, Kooperation und Kollaboration als unterschiedlich intensive Formen der Zusammenarbeit zu unterscheiden. Dies ist sinnvoll, wenn beispielsweise über die optimale Unterstützung der Aufgabenerfüllung durch den gezielten Einsatz von kollaborativen Anwendungen nachgedacht wird. Bei Kommunikation geht es um den gemeinsamen Austausch von Informationen und Wissen. Erfolgen darüber hinaus auch gemeinsame Aktivitäten mit zumindest komplementärer Zielsetzung, dann wird die Zusammenarbeit zur Koordination. Beispiel wäre die Abstimmung der einzelnen Gewerke bei einem Hausbau. Sie tragen alle zum Ergebnis bei, aber am Ende arbeitet jedes Gewerk auf eigene Verantwortung. Die Zusammenarbeit wird zur Kooperation, wo verschiedene Partner zwar arbeitsteilig vorgehen, aber ihre Teilbeiträge mit anderen zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammenführen müssen, d.h. bei der Zielerreichung voneinander abhängig sind. Die Handwerkerkolonne, die die Heizung einbaut, kooperiert.

„Collaboration“ oder „Kollaboration“ geht noch darüber hinaus und wird definiert als: „Die von zwei oder mehreren Personen an gemeinsamen Zielen ausgerichtete, direkte und sich wechselseitig beeinflussende tätige Auseinandersetzung zur Lösung oder Bewältigung einer Aufgabe oder Problemstellung. Dies geschieht innerhalb eines gemeinsam gestalteten und ausgehandelten Kontextes (gemeinsamer Bedeutungsraum, kooperatives Setting) in physischer Ko-Präsenz und unter Verwendung gemeinsamer Ressourcen“(Stoller-Schai 2003)

Das Besondere bei Collaboration ist der kreative Prozess, der zu einem Ergebnis führt, welches keiner der beteiligten Partner allein hätte erzielen können. Himmelmann (2001) betont als Besonderheit die wechselseitige Stärkung der Fähigkeiten zum gemeinsamen Nutzen und den Grad des Teilens von Verantwortung, Risiko und Nutzen der Zusammenarbeit. Collaboration zielt auf Synergieeffekte, Innovation und Kreativität. In vielen wirtschaftlichen Anwendungsbereichen von Wissensarbeit die Quelle besonderer Wertschöpfung. In Fortführung meiner Beispiele könnte ich mir hier die gemeinsame Entwicklung eines neuen Konzeptes für die Wärmeversorgung unter Beteiligung der verschiedenen Spezialisten vorstellen.

Mit jeder Form der Zusammenarbeit sind spezielle Bedürfnisse verbunden, die durch bestimmte Funktionalitäten der kollaborativen Anwendungen unterstützt werden.  Beim Austausch von Informationen geht es um den schnellen, übergreifenden Austausch, während bei der Koordination die Dokumentation, bei der Kollaboration der Wissensaustausch in einer Gruppe eine größere Rolle spielen.  Dies muss bei der Arbeitsgestaltung entsprechend beachtet werden. (Bei der Zuordnung von Funktionalitäten fällt es schwer, zwischen Kooperation und Kollaboration zu unterscheiden, daher vereinfache ich die Darstellung.)

Die klare Unterscheidung von Stufen der Intensität der Zusammenarbeit, hilft insofern weiter, als dann sofort klar wird, dass niemand pausenlos Kollaboration betreiben kann. Kollaboration stellt nur jeweils eine Episode im Arbeitsprozess dar. Selbst bei sehr kreativen und intensiv problemlösenden Wissensarbeiter/inne/n dürften Situationen der Kollaboration kaum mehr als 10 bis 20% der Arbeitszeit erreichen.

Die Mitarbeiter/innen stehen in Unternehmen alle in einem größeren kooperativen Zusammenhang, bei dem mit ihrer Tätigkeit zu einem gemeinsamen Ergebnis beitragen. Auch wer im Team arbeitet, erfüllt über weite Strecken seine Aufgaben in Einzelarbeit. An diese Selbstverständlichkeit wurden wir bei einem Interview im Unternehmen von meinem Gesprächspartner, einem Programmierer, erinnert: Nachdem wir ihn immer wieder nach Situationen der Kommunikation und Kollaboration gefragt haben, brach es aus ihm heraus: „Das war nicht Kommunikation gewesen, sondern letztlich das Runterschreiben von Codes. (…) Da will ich auch keine Kommunikation haben, da brauch ich letztendlich Ruhe.“  Genau, das sollte man nicht vergessen. Es ist derzeit ein extrem großes Problem, dass die Kommunikationsbedürfnisse immer wieder die konzentrierte Erledigung von Aufgaben behindern und es schwerfällt, sich abzugrenzen. Es gibt aber aus der Aufgaben heraus auch immer wieder Anlässe für Kommunikation. Um weiterarbeiten zu können, fehlen Informationen, die mit einem Telefonat oder via Webkonferenz eingeholt werden. Es finden dazu auch Meetings statt, die aber in der Regel das Niveau Koordination erreichen, insofern nicht nur Informationen ausgetauscht werden, sondern man sich auch abstimmt in welcher zeitlichen und inhaltlichen Weise gemeinsame Ziele erreicht werden sollen. Nur gelegentlich, Beispiel ist hier eine Konzeptentwicklung, kommen unterschiedliche Expert/inn/en zusammen, um etwas Neues zu schaffen, erfolgt Kollaboration.                   

Das Bild von der Kollaboration als Episode im Arbeitsprozess verdeutlicht, wo die Potenziale der kollaborativen Anwendungen liegen: Es geht darum diese kurzen intensiven und voraussetzungsvollen Arbeitsphasen effizient zu gestalten. Wenn hier besondere Wertschöpfungspotenziale liegen, dann müssen Situationen der Kollaboration bestmöglich unterstützt werden, damit das Wissen der Beteiligten schnell zu guten und neuen Lösungen führen kann. Es kann auch darum gehen, diese Phasen auszudehnen, zum einen indem Störungen und Ablenkungen reduziert werden, zum anderen indem mittels kollaborativen Anwendungen der Kreis der an einer Konzeptentwicklung beteiligten Personen ausgeweitet wird (z.B. mittels Forum- oder WIKI-Funktionen). Mit einer klaren Vorstellung der Besonderheit von Kollaboration, können geeignete Maßnahmen gezielt realisiert werden.

Literaturverzeichnis

Camarinha-Matos, Luis M.; Afsarmanesh, Hamideh (2008): Concept of Collaboration. In: Goran Putnik und Maria Manuela Cruz-Cunha (Hg.): Encyclopedia of networked and virtual organizations. Hershey, New York: IGI Global (701 E. Chocolate Avenue Hershey Pennsylvania 17033 USA), S. 311–315.

Himmelmann, Arthur T. (2001): On Coalitions and the Transformation of Power Relations: Collaborative Betterment and Collaborative Empowerment. In: American Journal of Community Psychology 29 (2).

Stoller-Schai, Daniel (2003): E-Collaboration: Die Gestaltung internetgestützer kollaborativer Handlungsfelder. Bamberg: Difo-Druck.